Gähnen, Gehirnleistung und Stressabbau

Schätzen Sie mal: Wie oft gähnen Sie pro Tag? Und warum?
Menschen gähnen durchschnittlich 28mal am Tag. Vielleicht sollten Sie es sogar noch häufiger tun…

In diesem Artikel erfahren Sie:

  • Welche bekannten und weniger bekannten Gähn-Situationen es gibt
  • Warum wir gähnen
  • Warum Sie bei häufigem Gähnen ohne Schlafmangel aufpassen sollten
  • Wie Sie Gähnen aktiv nutzen können, um die Gehirnleistung zu steigern, Stress abzubauen und das Einschlafen zu unterstützen

Was ist Gähnen und wann überfällt es uns?

Löwe gähnt

Foto: Pixabay

Fast alle Wirbeltiere gähnen. Zum Beispiel Vögel, Hunde, Katzen, Affen, Menschen – bereits die menschlichen Embryonen. Es ist evolutionär gesehen ein sehr altes Verhalten.

Gähnen ist tiefes Einatmen von Luft, verbunden mit einem kräftigen Dehnen des Kiefers, gefolgt von einer kürzeren Ausatmung der Luft und schnellerem Schließen des Kiefers. Typisches Gähnen dauert 5-10 Sekunden. Dieser Vorgang steigert, über den Gehirnbotenstoff Dopamin gesteuert, den Blutfluss im Gehirn.

Wir gähnen, wenn wir müde sind – aber auch morgens, wenn wir wach werden und aufstehen. Gähnen gilt als Zeichen für Langeweile (und daher als unhöflich in Gesellschaft anderer) – andererseits gähnen wir auch vor dem Start einer neuen Aktivität und wenn wir gestresst sind.

Gähnen ist ansteckend: Sehen wir andere Menschen gähnen – in Realität oder auf Bildern, Videos – oder lesen Texte darüber, beginnen wir zu gähnen (Und? – Haben Sie schon gegähnt?). Sogar Hunde gähnen, wenn sie gähnende Menschen zuvor gesehen haben (Senju 2010).

Warum gähnen Menschen?

Frau mit Schlafbrille muss gähnen

Foto: Pixabay

Bis vor 30 Jahren galt die Hypothese, dass Gähnen der besseren Sauerstoffversorgung des Körpers und vor allem des Gehirns dient. Die Sauerstoff-Hypothese wurde jedoch in den 1980er-Jahren widerlegt: Durch Gähnen verringert sich weder der CO2-Gehalt im Gehirn, noch steigt der Sauerstoffgehalt an (Provine 1987). Genau genommen gibt es bis heute unterschiedliche Theorien, warum Tiere und Menschen gähnen und ob den verschiedenen Gähn-Situationen unterschiedliche Mechanismen zugrunde liegen.

Aktuell geht man davon aus, dass Gähnen in den meisten Fällen zur Temperaturregulation (Thermoregulation), genauer gesagt zur Kühlung des Gehirns führt (Gallup 2013).
Steigt die Gehirntemperatur bei Wirbeltieren geringfügig an, verlangsamt sich die Gedächtnisleistung. Gähnen wiederum senkt die Gehirntemperatur: Das Einatmen kühlerer Umgebungsluft kühlt das Blut, welches zum Gehirn fließt und senkt die Gehirntemperatur. Es wird angenommen, dass dies auch bei Menschen so ist. Gähnen macht also wacher und bringt die Gedächtnisleistung wieder auf ein höheres Niveau.

1.    Abendliches Gähnen: Vom Wachsein zum Schlafen

Abends steigt die Körpertemperatur – und damit auch die Gehirntemperatur bei Menschen an. Wenn wir eine hohe Körpertemperatur haben, fühlen wir uns müde und schläfrig. Zu dieser Zeit steigt auch die Gähnfrequenz.

Häufigeres Gähnen am Abend könnte also ein Weg sein, um das Gehirn etwas abzukühlen und damit wach zu bleiben und die Gehirnleistung aufrecht zu erhalten (Gallup 2013).

Gähnen aktiviert auch das Fließen der Cerebronalspinalflüssigkeit. Dadurch werden Somnogene („Müdigkeitsmoleküle“) wie Adenosin, Prostaglandin D2, VIP, Prolactin und Anandamid, die sich während des Tages ansammeln, aus dem Gehirn entfernt. Anschließend sind wir wacher (Walusinski 2014).

Das abendliche Gähnen könnte noch einen weiteren Effekt haben: die Vorbereitung auf den Schlaf. Denn um Einschlafen zu können, werden Gehirn- und Körpertemperatur abgesenkt. Abends sind Körper- und Gehirntemperatur am höchsten. Der Kühlungseffekt beim abendlichen Gähnen könnte das Absenken der Temperatur einleiten und das Einschlafen erleichtern.

2.    Gähnen am Morgen

Gähnen wird durch Dopamin ausgelöst – und morgens ist der Dopamingehalt besonders hoch (Doyle 2002). Das könnte eine Erklärung sein, warum Menschen nach dem Aufwachen gähnen, um aktiver zu werden. Dabei spielt also weniger die Gehirntemperatur als der Gehalt an Gehirnbotenstoffen eine Rolle.

3.    Sommer- und Winter-Gähnen

Die Thermoregulations-Hypothese passt zu der Beobachtung, dass Menschen im Sommer mehr gähnen als im Winter oder bei höherer Umgebungstemperatur.

4.    Ansteckendes Gähnen: Kollektive Aufmerksamkeit?

Gähnen ist „ansteckend“. Eine gähnende Person kann der Trigger sein dafür, dass eine ganze Menschengruppe gähnt. Sogar Bilder oder Texte, die Gähnen vermitteln, können Gähnen auslösen. Diese soziale Komponente ist bei empathischen Menschen besonders ausgeprägt und reduziert bei Autismus.

Die Hypothese für ansteckendes Gähnen ist, dass dadurch der Wachheitsgrad in der Gruppe koordiniert gesteigert wird – möglicherweise ein evolutionäres Erbe, um als Gruppe besser und schneller gegen äußere Gefahren reagieren zu können (Gallup 2013).

5.    Gähnen und Stressabbau: Einen kühlen Kopf bewahren!

Seelöwe gähnt

Foto: Pixabay

Menschen in ausgeprägten Stresssituationen neigen zum Gähnen vor einer entscheidenden Aktivität: Einige Fallschirmspringer gähnen, bevor sie aus dem Flugzeug abspringen, Sportler vor dem Wettkampf, Polizisten vor ihrem Einsatz.

Biologisch macht das Sinn: Angst und Stress können die Gehirntemperatur erhöhen. Gähnen kann dann ein effizienter Mechanismus zur Kühlung sein – und damit die Gehirnleistung in kritischen Situationen steigern. Wir haben dafür auch umgangssprachlich eine passende Formulierung: Man sollte bei Stress und wichtigen Entscheidungen „einen kühlen Kopf bewahren“.

Beim Gähnen kommt es zusätzlich zum Dehnen und Strecken von Muskulatur, die bei Stress oft angespannt ist: die Gesichtsmuskulatur (vor allem im Kinnbereich) und die Nackenmuskulatur. Gähnen hilft, diese Verspannungen zu lösen.

Beim Gähnen holen wir tief Luft – das aktiviert eine entspannungsförderliche Atmung. Bei Stress herrscht meist eine sehr flache und hektische Atmung vor. Kehrt man zu einer tiefen Atmung zurück, zum Beispiel durch Gähnen, starten im Körper biochemische Entspannungsreaktionen.

Ein weiterer Effekt des Gähnens: Die Augen werden mit Tränenflüssigkeit befeuchtet. Das ist vor allem für Schreibtischarbeiter von Bedeutung, denn oft trocknen die Augen bei der Bildschirmarbeit aus, beginnen im Lauf des Tages zu jucken oder zu brennen und erschweren den klaren Durchblick. Gähnen hilft gegen diese Art der trockenen Augen in Sekundenschnelle.

Übermäßiges Gähnen und Krankheiten

Häufiges Gähnen kann ein Indiz für Schlafmangel sein. Möglicherweise liegt aber auch eine Erkrankung vor, bei der die Körpertemperatur nicht mehr gut reguliert werden kann. Dies ist beispielsweise bei Multipler Sklerose, Migräne, Epilepsie, Angst und bei einigen Patienten mit Schizophrenie und Autismus der Fall.

Tagesmüdigkeit und Gähnen können aber auch auf eine Schlaf-Apnoe hinweisen. Dabei kommt es in der Nacht zu kurzen Schlafaussetzern, die einen Sauerstoffengpass ausgleichen sollen. Da dabei oft die erholsamen Schlafphasen unterbrochen werden, kommt es während des Tages zu Müdigkeit und Gähnen.

Auffällig häufiges Gähnen sollte daher ein Anlass sein, nicht nur auf ausreichend Schlaf zu achten, sondern auch darauf, ob eine der genannten Erkrankungen vorliegt (Teive 2018).

Zusätzlich können auch Medikamente, die die Körpertemperatur erhöhen (z.B. Antidepressiva), übermäßiges Gähnen auslösen (Gallup 2013).

Aktives Gähnen für optimale Gehirnleistung

Das Wissen über die kühlende und entspannende Wirkung des Gähnens lässt sich praktisch anwenden – für mehr körperliche und geistige Fitness und besseren Schlaf.

„Gähnen ist ein stummer Schrei nach Kaffee“ – oder nach frischem Wind im Gehirn

Steigt die Temperatur im Raum oder die Gehirnleistung an, dann werden wir allmählich müder. Um wieder wach und aktiv zu werden

  • greifen viele zu einer Tasse Kaffee,
  • kann das Absenken der Raumtemperatur durch Öffnen des Fensters (natürlich nicht wirksam im Hochsommer) schnelle Abhilfe schaffen, oder
  • ein herzhaftes aktives Gähnen in kürzester Zeit belebend wirken (vor allem dann, wenn kein Kaffee verfügbar ist).
Mann gähnt am Arbeitsplatz oder Homeoffice

Foto: 139977773, www.123rf.com

Bei den Entspannungstechniken des „Embodiments“ (Interaktion von Körperbewegungen und mentalem Zustand) zählt das Gähnen zu den Basisübungen. Hier eine Anleitung nach Julie Henderson (Altmeyer 2015):

  • Atmen Sie tief ein, öffnen Sie den Mund weit und gähnen Sie ungehemmt und geräuschvoll.
  • Wiederholen Sie das „große Gähnen“ mehrfach hintereinander.
  • Räkeln Sie dann genüsslich Ihren Rücken, die Arme, Schultern und den Nacken in alle möglichen Richtungen – wenn Sie mögen, seufzen und/oder schnurren Sie wie eine Katze dabei.

Mein Tipp: Gähnen Sie aktiv nach jedem Aufgabenblock des Tages und erfrischen Sie sich so zwischendurch. Die nächsten Aufgaben gehen dann deutlich schneller und entspannter voran.

Ansteckendes Gähnen als Einschlaf-Hilfe nutzen

Abstraktes Bild Schlaf und schlafen

Foto: 129909735, www.123rf.com

Da Gähnen ansteckend ist und es möglicherweise durch das Absenken der Gehirntemperatur ein Einschlafsignal am Abend gibt, können Geschichten rund um das Gähnen als Einschlafhilfe genutzt werden.

Als Kinderbücher gibt es beispielsweise:

  • zum Vorlesen oder als Audio-CD: „Das große Gähnen“ von Monika Spang und Sonja Bougaeva
  • das Pappbilderbuch „Alle müssen gähnen“ von Anita Bijsterbosch

Und jetzt: Viel Entspannung, guten Schlaf und einen wachen Geist mit aktivem Gähnen!

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